Eine jüdische Geschichte Weinstadts?

Wenn sich Weinstadt am bundesweiten Jubiläumsjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ beteiligt, könnte das auf den ersten Blick erstaunen und Rückfragen hervorrufen, denn bekanntlich gab es in Weinstadt und seinen Teilorten nie eine jüdische Gemeinde. Ja, es ist noch nicht einmal erwiesen, ob hier vor 1945 überhaupt einmal Juden gelebt haben. Wenn dies der Fall gewesen sein sollte, etwa im Mittelalter, bevor Graf Eberhard im Barte 1492 testamentarisch verfügte, dass kein Jude in Württemberg sesshaft werden sollte, dann hätten sich keine Schriftquellen darüber erhalten. Warum also das Thema „Jüdische Geschichte Weinstadts“? Weil es eben doch eine ganze Reihe von Berührungspunkten zwischen der lokalen Geschichte und der jüdischen Geschichte auf regionaler und auf Landesebene gab! So finden sich schon für das 18. Jahrhundert Hinweise auf ganz massive Rückwirkungen des landesweiten Skandals um eine der berühmtesten Figuren der jüdischen Geschichte Deutschlands: Nach dem Justizmord an dem Hoffaktor Joseph Süß Oppenheimer 1738 in Stuttgart ging eine beispiellose Pleitewelle durch das Land, die auch das heutige Weinstadt erfasste. Sodann führte die im Zuge der jüdischen Emanzipation in Württemberg im 19. Jahrhundert verstärkte wirtschaftliche Aktivität der Juden, gerade im Viehhandel, auch zu vermehrten Kontakten im unteren Remstal. Zwar sind darüber so gut wie keine Unterlagen erhalten, aber sog. „Viehjuden“ sind sicher auch ins heutige Weinstadt gekommen, und für Schnait gibt es sogar einen recht frühen Beleg für „Vieh-verstellung“ durch jüdische Händler in den dortigen Ställen (1851). Die Remstäler „Viehjuden“ lebten in den benachbarten Städten, in Esslingen, Cannstatt oder Waiblingen. Aus Cannstatt und Stuttgart kamen jüdische Händler, die in den 1880er Jahren im Großheppacher Immobilienbereich aktiv waren. Und über diese „städtische Schiene“ dürften bis in die NS-Zeit hinein noch weitere Kontakte zwischen „Weinstädtern“ und Juden bestanden haben: So gab es in Schorndorf bis 1936 das kleine Warenhaus Anspach oder in Waiblingen 1930-33 einen jüdischen Assistenzarzt (Dr. Friedmann) am Krankenhaus. Der NS-Terror machte all diese Beziehungen zunichte, auch die „Viehjuden“ kamen irgendwann einfach nicht mehr … .
So gibt es doch eine ganze Reihe von Querverbindungen zwischen Juden und den Teilorten Weinstadts, die sich zu einer „jüdischen Geschichte Weinstadts“ zusammenfügen. Und dass dieses lokale Kapitel in der Ausstellung natürlich als Teil des jüdischen Lebens in Württemberg präsentiert wird, versteht sich einem so stark landesgeschichtlich orientierten Museum wie dem Württemberg-Haus Beutelsbach fast von selbst.

Dr. Bernd Breyvogel, Leiter der Museen Weinstadt